10. März 2024 - Mil Gaspar
Im 18. Jahrhundert entsprach Heidelberg mit seinen engen Gassen, barocken Fassaden und der heute so beliebten Schlossruine nicht gerade den Idealen der Zeit. Doch bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Meinungswandel – und Heidelberg wurde zum beliebten Reiseziel. Heute gilt Heidelberg als „die schönste Stadt Deutschlands“. Jährlich strömen 14 Millionen Besucher in die Stadt am Neckar – Heidelberg schaffte es bei einer Umfrage der DZT 2022 bei internationalen Touristen auf Platz 6 der deutschen Städte – nicht zuletzt dank der Barocken Altstadt und der „schönsten Schlossruine der Welt“. Doch welche Sehenswürdigkeiten zog die Reisenden des vorletzten Jahrhunderts an? Wie reisten sie, und welche Spuren ihrer Zeit sind heute noch erhalten? Der Baedeker-Reiseführer ermöglicht es, die Touristen bei ihrem Besuch in Heidelberg zu begleiten.
Den Durchbruch zum Reiseziel zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat Heidelberg nicht zuletzt der Romantik zu verdanken, welche die Schönheit der sich in den Talausgang des Odenwaldes schmiegenden Stadt entdeckte. Mittelalterliche Kunst und Architektur wird von den Künstlern und Dichtern der Romantik idealisiert, und die majestätische Schlossruine über Heidelberg wird zum Sehnsuchtsort. Doch auch viel pragmatischere Gründe helfen dem Erfolg des Reiseziels Heidelberg: 1840 kommt die Eisenbahn. Um den Bahnhof, welcher sich damals noch etwas außerhalb der Stadt an der heutigen Kurfürstenanlage befand, entstanden schnell einige Hotels, um die Besucher aufzunehmen.
In den Taschen von nicht wenigen dieser Besucher dürfte sich eine Ausgabe des Baedeker-Reiseführers befunden haben. Die später in Rot eingebundenen Taschenreiseführer waren ein großer Erfolg, und der Name Baedeker wurde quasi zum Synonym für Reiseführer. Das „Handbuch für Reisende in Deutschland und dem Österreichischen Kaiserstaat“ von Karl Baedeker aus dem Jahr 1855 bietet dem Reisenden gleich 4 Routen nach Heidelberg an. Dem am Heidelberger Bahnhof eingetroffenem Leser werden sieben verschiedene Hotels angeboten. Das Hotel Schrieder etwa, einer der neu am Bahnhof entstandenen Gasthöfen, welcher heute als Hotel Hilton Heidelberg immer noch steht – in der Altstadt wird das altehrwürdige Haus zum Ritter empfohlen. Dieses hatte als einziges Bürgerhaus den großen Stadtbrand von 1693 überstanden und ist bis heute sowohl Hotel als auch beliebte Sehenswürdigkeit in der Altstadt.
Dem Reisenden werden nach seiner Ankunft in Heidelberg einige Attraktionen vorgeschlagen, welche bis heute noch zu den meistbesuchten in Heidelberg zählen: An erster Stelle die Universität, welche damals noch größtenteils im Universitätsgebäude am damaligen Ludwigsplatz (1928 umbenannt in Universitätsplatz) untergebracht war – noch vor dem Schloss, welchem, zwar erst nach der Ruperto-Carola, gleich eine ganze Seite gewidmet wird. Zum Aufstieg wird der Burgweg empfohlen – die Bergbahn gab es damals noch nicht. Der Baedeker führt den Besucher auch durch das Schloss und gibt kurze Kommentare zum Schlossgarten, Großen Fass, den einzelnen Gebäudeteilen des Schlosses und zu den Standbildern, die man dort sehen kann. Ebenfalls empfohlen wird die Galerie von Charles de Graimberg (*1774–†1864), welcher sich seit 1810 zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die Schlossruine zu erhalten, welche zuvor den Bürgern der Stadt als Steinbruch gedient hatte. Aus seiner Sammlung an Artefakten aus dem Schloss, welche 1855 noch im Schloss ausgestellt war, entstand nach seinem Tod schließlich das Kurpfälzische Museum. Vom Schloss her wird zu einem Aufstieg zur 1850 eröffneten Gastwirtschaft Molkenkur, von dort aus weiter zum Königsstuhl, und schließlich ein Abstieg zum Riesenstein geraten.
Während der Baedeker 1855 seinen Leser noch hauptsächlich zu den Aussichten über Heidelberg und zum Schloss führt, sind in der Ausgabe von 1900 („Les Bords du Rhin – De la Frontière Suisse à la Frontière de Hollande“) einige Attraktionen in der Stadt selbst hinzugekommen. Lag dies daran, dass die Stadt auf die Touristen reagierte? Zum Teil ja – etwa mit dem 1878 eröffneten Kurpfälzischen Museum. Aber vermutlich lag es auch nicht zuletzt daran, dass die Altstadt selbst zur Attraktion wurde. Neben der Alten Brücke, der Universität und dem Gasthaus zum Ritter, welche 1855 schon zu den Sehenswürdigkeiten gehörten, sind 1900 die großen Kirchen der Altstadt, der Kornmarkt, das barocke Rathaus und zahlreiche Statuen und Büsten in der Stadt zu beliebten Sehenswürdigkeiten geworden. Dazu auch neue Attraktionen, wie die 1877 errichtete „Neue Brücke“. Aber auch die Auswahl an Hotels ist explodiert: So das Grand-Hôtel am Bahnhof, das „Hôtel de l’Europe“, das „Victoria“, der Darmstädter Hof, das Schlosshotel und das 1891 eröffnete Perkeo. Das Hotel Schrieder wird dem Leser auch ein halbes Jahrhundert später noch wärmstens empfohlen. Der Baedeker führt jetzt auch Restaurants und Cafés, zum Beispiel das Café Haeberlein an der Leopold-Straße.
Auch die Bergbahn ist neu, welche den Touristen für 35 Pfennig vom Kornmarkt hinauf zum Schloss befördert – 1855 musste sich noch mit einem Esel begnügen, wem der Fußweg zu mühselig war. Statt der Kutsche fährt eine von Pferden gezogene Straßenbahn durch die Hauptstraße – nach Mannheim und Weinheim fährt der Vorläufer der heutigen Linie 5 schon mit Dampf. Der Tourist im neuen Jahrhundert kann auch von anderen neuen Erfindungen profitieren. Ein Telegramm in die Heimat, oder vielleicht ein Foto gefällig?
Die Stadt ist ordentlich gewachsen, nicht zuletzt 1891 durch die Eingemeindung Neuenheims. Um den Bahnhof herum ist ein neues Viertel entstanden, wie der Stadtplan schön illustriert. Mit der Stadt wuchs die Bevölkerung, welche sich seit 1855 (15.000 Einwohner laut Baedeker) auf nunmehr 35.100 mehr als verdoppelt hat.
Trotz all der Neuerungen bleibt das Schloss die Hauptattraktion, welchem in „Bords du Rhin“ gleich drei Seiten gewidmet werden, zusammen mit einem Plan des Schlosses. Im Schloss gibt es jetzt Führungen und ein Museum. Eintritt zum Schloss, an welchem seit 1891 Renovationsarbeiten vorgenommen werden, kostet eine Mark (umgerechnet grob 8€) – vergleichbar mit den heutigen Eintrittspreisen.
Von den Hotels aus der Zeit sind die meißten heute nicht mehr als solche erhalten. Ausnahmen sind etwa das Perkeo, der Europäische Hof, das Hotel Schrieder, welches heute das Hilton-Hotel ist, sowie das Gasthaus zum Ritter. Von den ehemaligen Hotels sind aber häufig die Gebäude erhalten. Das Grand-Hôtel etwa beheimatet heute das Polizeirevier Heidelberg-Mitte. Auch der Bahnhof wurde umverlegt. Die Touristen kommen aber immer noch für die gleichen Sehenswürdigkeiten: Das Schloss, die Alte Brücke, die barocke Altstadt und die malerische Landschaft, in die sich die Stadt am Neckar schmiegt. Die Bergbahn fährt auch heute noch, die Straßenbahn aber schon lange nicht mehr über die Hauptstraße, welche heute als längste Einkaufsstraße Deutschlands zum Shoppen anregt.